Fairer Handel statt TTIP

Interview mit Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand

 

Stefan Körzell ist im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zuständig für die Handelsabkommen TTIP und CETA. Anfang Mai war der gebürtige Wildecker zum Interview in der printzip-Redaktion. Für Körzell, der einst das printzip mitgegründet hat, sozusagen ein Heimspiel. Daher hatte die heutige printzip-Mannschaft sich auch ein kleines Experiment überlegt. Der Gewerkschaftsfunktionär hatte die Möglichkeit, von einem Büfett (siehe oben) Belag für Tortillas oder Fladenbrot individuell zusammenzustellen. Die Herkunft der Lebensmittel war beschildert, so dass Stefan Körzell sich ein gutes Bild darüber machen konnte, was er da zu Essen bekam.
Doch wo war der Haken? Es musste ja etwas mit der Kritik an den geplanten Handelsabkommen zu tun haben. Und richtig, während der Belag nachvollziehbar unbedenklich war, hatte das printzip-Team die Falle bei den Tortillas gelegt. Diese waren nämlich aus US-amerikanischen Gen-Mais hergestellt. Doch Körzell hatte nach dem alternativ gereichten unbedenklichen Fladenbrot gegriffen und ging somit dem printzip-Team nicht auf den Leim. Bei Zustandekommen des TTIP-Handelsabkommens müsste möglicherweise zukünftig die gentechnologisch veränderte Herkunft der Tortilla-Zutat nicht mehr gekennzeichnet werden. Wer dann in eine vergleichbare Situation wie Stefan Körzell käme, wäre dem ähnlich ausgeliefert.

printzip: Greenpeace hat bisher geheim gehaltene Papiere aus den TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU veröffentlicht. Was ist Ihre Meinung dazu?
Körzell: Wir sind froh, dass das geleaked worden ist. Verfahren wie diese, die hunderte Millionen Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks betreffen und die auf jeden Einzelnen wirken, müssen von vornherein transparent sein und nicht geheim. Dank der Leaks sehen wir nun zum ersten Mal tatsächlich die Position der USA und die zum Teil sehr weit auseinandergehenden Positionen zwischen den Verhandlungspartnern.

printzip: Neben TTIP gibt es auch das Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA. Der Bundestag hat ihm noch nicht zugestimmt, trotzdem könnte es schon in Kraft treten. Was hat es damit auf sich?
Körzell: Handelspolitik ist Angelegenheit der Europäischen Kommission, aber Abkommen, die auch Nicht-Handelsfragen betreffen, müssen in den nationalen Parlamenten verabschiedet werden. Wir sind der Meinung, dass es sich sowohl bei CETA als auch bei TTIP um solche Abkommen handelt. Und das heißt für uns auch, dass die EU-Kommission die Abkommen nicht schon vor der Ratifizierung durch die Parlamente in Kraft setzen sollte. Wir hoffen, dass die EU-Kommission das ebenso sieht. Entscheidend ist für uns aber: Was passiert noch auf dem Weg dahin, gibt es noch nachhaltige Änderungen?

printzip: Welche Änderungen wären das? Was sind die Hauptkritikpunkte an TTIP und CETA?
Körzell: Wir sind nicht gegen Handelsabkommen, wir sind für fairen internationalen Handel, der auch den Menschen was bringt, von dem alle etwas haben und in dem auch die Arbeitnehmerrechte geschützt sind. Für uns sind drei Punkte sehr wichtig: die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die umgesetzt werden müssen, die Investitionsgerichte, die so für uns nicht in Ordnung sind, und die öffentlichen Dienstleistungen, die ausgenommen werden sollten. Bei TTIP kommt noch die regulatorische Kooperation hinzu.

printzip: Die Kernarbeitsnormen - also fundamentale Standards zu Arbeitnehmerrechten?
Körzell: Ja, genau. Das ist für uns eine wichtige Voraussetzung in beiden Abkommen, da die ILO-Kernarbeitsnormen ein Grundstandard bei den Arbeitnehmerrechten sind, und ganz wichtig bei der Frage, wie wir uns am Ende, wenn die Texte alle ausverhandelt sind, dazu verhalten und positionieren werden.

printzip: Wie ist der Stand bei den Arbeitnehmerrechten in den Abkommen?
Körzell: Die Kanadier scheinen bereit zu sein, die letzten beiden ILO-Kernarbeitsnormen, die sie nicht anerkannt haben, zu ratifizieren: Vereinigungsfreiheit und die Altersbegrenzung bei Kinderarbeit. Bei den USA ist das noch mal anders, die haben nur zwei von den insgesamt acht Normen anerkannt: die gegen Sklaven- und die gegen Kinderarbeit. Das Problem ist auch, dass es in den USA auf einzelstaatliche Regelungen ankommt, also alle Bundesstaaten dieses Verfahren selbst machen müssten. Ob das kommt, ist schwierig einzuschätzen.


printzip: Wie ist das Verhältnis des DGB zu amerikanischen Gewerkschaften?
Körzell: Wir sind ständig im Gespräch, auch mit den kanadischen Gewerkschaften. In der gewerkschaftlichen Familie mit den Amerikanern und den Kanadiern ist es Konsens, dass wir eine Anerkennung und Umsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen fordern.

printzip: Wie könnten Arbeitnehmerrechte in Freihandelsabkommen noch gesichert werden?
Körzell: Verstöße gegen Arbeitnehmerrechte müssen genauso sanktionierbar sein, wie Verstöße gegen Handelsrecht – das gehört in den Verträgen festgeschrieben. Wenn festgestellt wird, dass es in einem Unternehmen eklatante Verstöße gibt, muss das auch zu spürbaren Sanktionen führen.

printzip: Das hört sich ein wenig nach den umstrittenen Schiedsgerichten an.

Körzell: Nein. In den USA und in der EU gibt es demokratisch legitimierte Rechtssysteme. Dieser Rechtsstaatlichkeit vertrauen die Bürger. Warum sollen es die Unternehmen nicht? Wir brauchen keine extra Schiedsgerichte. Wir brauchen kein zweigleisiges Recht.

printzip: Neben den Schiedsgerichten wird bei TTIP auch das Verfahren der ‚regulatorischen Kooperation‘ kritisiert. Was bedeutet dies?
Körzell: Regulatorische Kooperation bedeutet, dass man alles, was man regulieren will, vorher dem Handelspartner mitteilt und dann darüber gesprochen wird, ob das überhaupt nötig ist. Die USA gehen da sehr weit. Sie sagen, wer regulieren will, muss wissenschaftlich und mit technischer Analyse belegen, dass diese Regulierung notwendig ist und es muss eine Kosten-Nutzen-Abschätzung gemacht werden. Laut dem Wirtschaftsvölkerrechtler Markus Krajewski würde dies die europäische Gesetzgebung in Umwelt- und Verbraucherschutzfragen erheblich erschweren. 

printzip: Also wären die strengeren europäischen Standards gefährdet?
Körzell: Es ist ja nicht immer so, dass wir hier die weitestgehende Regelung haben. Ein Medikament neu zuzulassen, ist in den USA schwieriger. Auch Finanzdienstleistungen sind dort schärfer geregelt. Aber was die USA jetzt wollen, ist: Wir bringen ein Produkt erst mal auf den Markt. Wenn es sich dann beispielsweise auf die Gesundheit negativ auswirkt, dann muss das belegt werden und erst dann kann man es wieder vom Markt nehmen. In Europa wird die Untersuchung und Folgenabschätzung vorher gemacht. Wir wollen dieses Prinzip beibehalten, es hat sich bewährt.

Stefan Körzell DGB
Stefan Körzell

printzip: Gibt es auch Gründe, die für das Handelsabkommen TTIP sprechen?
Körzell: Der Ursprung war der Wunsch nach Vereinheitlichung, zum Beispiel für die Automobilindustrie, ob der Blinker orange oder gelb blinkt oder ob das Armaturenbrett mit fünf oder drei Haltern festgemacht wird. Doch dazu braucht man kein Handelsabkommen. Dafür gibt es das Internationale Institut für Normung, da hätte man sich auf technische Normen einigen können. Jetzt hat man ein Handelsabkommen gemacht, wo alles mit reinkommt: Dienstleistungen, Arbeitnehmerrechte, Landwirtschaft, Finanzdienstleistungen.

printzip: Heißt das, dass letztlich TTIP gar nicht notwendig ist?
Körzell: Die Frage stellt sich heute nicht mehr, das ist jetzt so gewollt worden.

printzip: Die großen Wirtschaftsverbände fordern TTIP. Würden die Unternehmen davon denn nicht profitieren?
Körzell: Dass wir auf der Unternehmens- oder Arbeitgeberseite eine einhellige Meinung hätten, sehe ich nicht. BDI, BDA und DIHK stellen das zwar anders dar, sie sind aber nicht das Sprachrohr für alle. Es gibt auch die Vereinigung „Kleine und mittlere Unternehmen gegen TTIP“ und immer mehr Unternehmer organisieren sich, weil sie um ihre Wettbewerbs- und Marktfähig-
keit fürchten.

printzip: Und wie ist die Stimmung in der Politik?
Körzell: Frankreich hat mit einem Stopp der Verhandlungen gedroht, im österreichischen Parlament gab es einen Beschluss gegen die Schiedsgerichtsverfahren und in den Niederlanden auch. Dass es eine einheitliche europäische Linie gäbe, stimmt also nicht. Wenn Merkel nach den Leaks sagt, es müsse schneller gehen, zeigt das ja auch die Verunsicherung, die in der Politik da ist. Eigentlich wäre es jetzt angebracht, die Menschen darüber aufzuklären - über den Verhandlungsstand und über jeweilige Positionen.

printzip: Also versucht Merkel, TTIP noch vor
den Wahlen durchzudrücken?
Körzell: Auf politischer Ebene wird es mehr
und mehr so eingeschätzt, dass TTIP unter
dieser amerikanischen Administration nichts mehr wird.

 


Interview: Markus Weber und Timo Schadt

Fotos: Timo Schadt

erschienen in der printzip-Ausgabe Juni 2016

 

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Die Freihandelsabkommen

TTIP, CETA und TiSA



Die Abkommen

EU und USA verhandeln derzeit über ein Transatlantisches Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP).
Beim Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement), liegt bereits der Vertragstext vor.
Außerdem wird von 50 Staaten, vor allem Industrieländern, das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TiSA) verhandelt, mit dem Dienstleistungen liberalisiert und leichter privatisiert werden sollen.

Argumente der Befürworter*innen und Gegner*innen

Befürworter*innen versprechen sich von den Abkommen einen Abbau von Handelshemmnissen, ein größeres Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze sowie verbesserte Exportchancen für die deutsche Wirtschaft.
Kritiker*innen befürchten einen einen Abbau von Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzstandards. Die Abbau würden eine Aushöhlung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zur Folge haben - unter anderem durch private Schiedsgerichte für Investoren - und nur den Profitinteressen transnationaler Privatunternehmen, Banken und Konzerne dienen. Außerdem kritisieren sie, dass vor allem Vertreter*innen von Wirtschaftsverbänden und -lobbys in den Verhandlungen beteiligt sind und dass diese geheim und intransparent verlaufen.
Anfang Mai veröffentlichte Greenpeace bisher geheime Verhandlungspapiere zu TTIP, die unter www.ttip-leaks.org zu finden sind.


Proteste gegen TTIP: Von der EU bis nach Fulda und Bad Hersfeld

Über 3 Millionen Menschen in ganz Europa haben eine Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA unterschrieben. Zu einer Großdemonstration in Berlin im vergangenen Oktober, zu der unter anderem Umwelt- und Verbraucherverbände und der DGB aufgerufen hatten, kamen 250.000 Menschen.
Über 1.800 Kommunen in Europa haben sich inzwischen gegen TTIP ausgesprochen.
Im Oktober 2014 schloss sich der Haupt- und Finanzausschuss der Stadt Fulda auf Antrag der Linken/ Offenen Liste mit den Stimmen von CDU, SPD, GRÜNEN, FDP und CWE einstimmig den TTIP-kritischen Beschlusslagen des Deutschen und des Hessischen Städtetages an. Die Stadtverordnetenversammlung Bad Hersfeld hat im November 2014 mehrheitlich einen von SPD und Grünen eingebrachten und von FDP und Fraktionsgemeinschaft unterstützten Antrag gegen TTIP, CETA und TISA beschlossen.

 

Markus Weber

erschienen in der printzip-Ausgabe Juni 2016

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