Das Musical My Fair Lady überzeugt bei den Bad Hersfelder Festspielen mit treffsicherer Kulisse, prächtigen Kostümen und prominenter Besetzung. Auch nach starken Regenstürmen und in der Nacht kommt bei der Premierenvorstellung die Stimmung eines grünen Sommertages auf.
Das bekannte Musical von Frederick Loewe (Musik) und Alan J. Lerner (Texte) basiert auf dem Schauspiel Pygmalion von George Bernard Shaw und ist zum ersten mal bei den Festspielen zu sehen. Der Linguist und Dialekt-Experte Professor Higgins (Cusch Jung) wettet mit dem ebenfalls sprachinteressierten Oberst Pickering (Gunther Emmerlich), dass er aus dem schlichten berlinernden (in der Originalfassung Cockney-Englisch sprechenden) Blumenmädchen Eliza Doolittle (Sandy Mölling) innerhalb von sechs Monaten eine echte Lady machen kann. Während sie bei den beiden wohnt und Sprache und Umgangsformen der oberen Klassen erlernt, kommt ihr Vater, der Müllsammler Alfred P. Doolittle (Ilja Richter), unerwartet zu Reichtum. Higgins glaubt, dass sich die Kluft zwischen den Klassen über die Sprache überwinden lasse. Eliza dagegen kommt zu der Einsicht, dass der Unterschied zwischen einem Blumenmädchen und einer Lady nicht ist, wie man sich verhält, sondern wie man behandelt wird.
Hinter dem launischen Musical mit vielen bekannten Liedern steckt auch die Frage nach Schichtzugehörigkeit, sozialem Aufstieg und der Verachtung der Reichen gegenüber unteren sozialen Klassen – eine Frage, die bei der zunehmenden Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen und einer Politik, die diese sozialen Gegensätze weiter befördert, so aktuell ist wie bei der Entstehung des Stücks vor über einhundert Jahren. Die Umsetzung des Stoffes jedoch ist sehr unterhaltsam und bei der Bad Hersfelder Inszenierung mit einem spielfreudigen Ensemble und einem klasse Orchester aufgeführt.
Cusch Jung führte Regie und spielt gleichzeitig die Rolle des Professor Higgins, in der er darstellerisch durchweg glaubhaft ist. Sein Gesang wirkt manchmal jedoch etwas schwach. Gesanglich kann neben Ex-No-Angels-Star Sandy Mölling, die auch schauspielerisch eine gute Figur macht, vor allem Marlon Wehmeiner (als der in Eliza verliebte Freddy Eynsford-Hill) überzeugen. Der jovial auftretende Gunther Emmerlich und der schlitzohrige Ilja Richter sowie einige in das Stück neu eingebaute Witze sorgen für den notwendigen Humor. Die Tanzeinlagen sind besonders bei der großen Hochzeits-Nummer nahezu akrobatisch.
Eine Hauzptrolle spiel bei der Inszenierung auch das Bühnenbild: Für die Aufführung des Musicals "My fair Lady" wurde die Bühne der Stiftsruine mit Rasen ausgelegt, die Szenen spielen oft im Park, auf der Straße oder auch auf dem Golfplatz. Szenen im Studierzimmer spielen in einem Zelt in der Mitte der Bühne. Auch ein Oldtimer kommt zum Einsatz. So wird die Freiluftkulisse der Stiftsruine sinnvoll eingesetzt. Die Kostüme spiegeln treffsicher die sozialen Unterschiede zwischen den Schichten wieder, sind aber allesamt kreativ gestaltet.
So kann My Fair Lady auch die überzeugen, die nicht die größten Musical-Fans sind und bildet eine vergnüglichen Gegenpart zur hervorragenden, aber sehr ernsten Hexenjagd-Inszenierung.
Text: Markus Weber
Fotos: Timo Schadt
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