Über die Mediengesellschaft


Seit dem Eintritt ins digitale Zeitalter hat sich einiges getan. Nicht irgendwo oder in speziellen Bereichen. Nein, in unser aller Leben, ob privat, ob beruflich. Finanzen werden online verwaltet, der Urlaub im Netz gebucht und Freundschaften in sozialen Netzwerken gepflegt, das Handy oder Smartphone stets dabei im Anschlag. Der Anblick eines Rentners löst kein Erstaunen aus, wenn der durch den Discounter geht, sein iPhone in der Hand, um mit der App „Barcoo“ Preise zu vergleichen. Neue Medien sind eben nicht mehr nur was für die Jüngeren. Medien, vor allem die Neuen sind überall präsent.

Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (mpfs) ermittelte in seiner 2010er Studie, dass die Grundausstattung mit Geräten zur Mediennutzung sich stetig erweiterte: „Fernseher, Handy, Computer und Internetanschluss sind in allen Familien vorhanden. Fast alle Haushalte besitzen eine Digitalkamera (95 Prozent) und einen MP3-Player (92 Prozent). Einen DVD-Player haben 85 Prozent und auch Spielkonsolen sind weit verbreitet: in drei Viertel der Haushalte ist mindestens eine fest installierte Spielkonsole vorhanden, zwei von drei Haushalten haben zumindest eine tragbare Spielkonsole.“ Die Existenz eines Fernsehers steht bei der Ermittlung demnach nicht mehr im Vordergrund, sondern die Tiefe eines solchen Gerätes, denn zwei von drei Haushalten setzen dabei auf ganz flach, wobei sich die Menge seit der Erhebung noch einmal gründlich erhöht haben dürfte.
Medien sind ja nicht nur in Form flimmernder Rechtecke in verschiedenen Größen rezipierbar. Da freut sich die antiquierte Seele zu lesen, dass in den Haushalten, in denen Jugendliche im Alter zwischen 12 und 19 Jahren leben, zu 56 Prozent die Tageszeitung im Abo ins Haus kommt. Und weil die Mitglieder postmoderner Haushalte in der Regel multilokal leben, wundert es wenig, dass sich die vielen Geräte in den Haushalten auch mehrfach vorfinden. Im Schnitt besitzt ein Haushalt beispielsweise 4,0 Handys, 2,7 Computer und 2,4 Fernseher. „In anderen Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass über die Hälfte der Haushalte drei oder mehr Computer und 42 Prozent mindestens drei Fernseher besitzen. Bei Mobiltelefonen haben sogar 88 Prozent der Haushalte drei oder mehr Geräte zur Verfügung“, verdeutlicht die mpfs-Studie weiter.
Ja, und wenn so viele und verschiedene Geräte vorhanden sind, müssen die auch benutzt werden. Es ist wieder keine Überraschung, dass das Handy im jugendlichen Gebrauch die Nr. 1 ist. 80 Prozent der 12- bis 19-Jährigen gebrauchen es täglich. Knapp zwei Drittel der Jugendlichen widmen sich täglich Internet, MP3 und dem Fernseher. Mehr als die Hälfte schaltet täglich das Radio ein und über ein Viertel liest jeden Tag eine Tageszeitung. Und dann gibt es mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu lesen: „Mit gut einem Fünftel ist der Anteil der täglichen Buchleser doppelt so hoch wie der der Computerspieler.“
Und wie wirkt sich das auf die Dauer der Mediennutzung aus? 9 Stunden und 23 Minuten verbringen junge Menschen durchschnittlich am Tag mit Medienkonsum. Die ARD-ZDF-Onlinestudie ermittelte für das Jahr 2011, dass die Befragten ab 14 Jahren im Schnitt insgesamt 501 Minuten täglich das Fernsehen 229 Minuten, den Hörfunk 192 Minuten und das Internet 80 Minuten nutzen. Da ist noch keine gehörte MP3, keine gesehene DVD oder gelesene Zeitung miterfasst.
Die Quantität der Mediennutzung ist aber nur Seite. Damit nicht genug, Mediennutzungsaspekte im digitalen Zeitalter sind vor allem mehrdimensional. Deshalb sind nicht nur Quantität und Qualität von Belang. Doch wer spricht schon noch von den medialen Trash-Lawinen? Stattdessen hat sich die häufige Verwendung „Qualitätsmedien” zur Abgrenzung etabliert.
Also, nicht nur Maß und Güte, sondern auch die rechtliche Lage bietet breiten Diskussionsstoff. Der demokratische Leitbegriff „Freiheit“ – ACTA und die Piraten lassen grüßen – wird in und fürs Netz hart umkämpft. Interaktionen zwischen Medium und Nutzer/innen, Anwendungsfreundlichkeit usw. usf. verdeutlichen die Komplexität, die heute Mediennutzung inne hat.
Meiner Meinung nach ist das Ausmaß der Veränderungen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenlebens sowie Wirkens mit und durch die Medien gar nicht absehbar. Zu komplex, zu schwer über- und durchschaubar sind Medien, ja auch Bücher, Zeitschriften und Zeitungen geworden. Scheinbare Pluralisierung (Medien-Monopole gibt es nach wie vor und Facebooks Mark Zuckerberg sind Machtmenschen neuen Profils) sowie Diversifizierung machen es den täglichen Nutzer/innen schwer, sich durch den Angebots-Dschungel zu kämpfen. Dabei sollten Medien doch einfach „nur“ seriös unterhalten und/oder informieren. Gilt somit für die Rezipierenden, provokativ formuliert, die Basisfrage: Entweder tumb konsumieren oder Medien reflektiert und kritisch quasi als Lebensaufgabe auswerten?
Die Mediengesellschaft bietet auch Chancen, voran die Neuen Medien: Eröffnung vielfältiger Horizonte, die Möglichkeit einer breiten, ebenso politischen Partizipation und das Schaffen von mehr Transparenz, was allerdings auch nach hinten losgehen kann. Nicht zuletzt zeigen idealistische und global bestehende Netz-Projekte wie das populäre Wikipedia, was soziale Medien besser als die global grassierende Facebook-Uniformierung leisten: Frei zugängliche Informationen, die konsumierbar, aber auch direkt kritisier- und überprüfbar sind.       
Stefanie Schadt
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Schlaflos


Kann sich noch jemand an das Remake „Insomnia“ von Christopher Nolan aus dem Jahr 2002 erinnern? Al Pacino spielt darin den Cop Will Dormer. Als Polizei-Legende aus L.A. verschlägt es ihn in die Einöde Alaskas. Dort ist ein grausamer Mord an einer 17-Jährigen begangen worden. Dormer und sein Partner Hap Eckhart (Martin Donovan) sollen nun eine junge Polizistin, gespielt von Hilary Swank, bei den Ermittlungen unterstützen. Schade nur, dass Will Dorner das schlaflos tun muss. Die Mitternachtssonne und der Dreck, den er in L. A. stecken hat, lassen ihn in seinem Hotelzimmer nicht zur Ruhe kommen. Dennoch dauert es nicht lange und Dormer könnte den Täter durch eine Falle fast packen. Schemenhaft sieht er ihn im Nebel verschwinden. Er schießt und trifft seinen Partner Hap! Als Dormer die Kollegen ruft, erzählt er denen, dass der Schuss vom Flüchtigen stammt, doch der Mörder weiß, dass auch Dormer einer ist… Nun gut, Schlaflosigkeit führt in der Regel nicht zu solch schrecklichen Geschehnissen, wie sie Al Pacino in seiner „Insomnia“-Rolle widerfahren. Allerdings verdeutlicht der Film gut, wie schwierig es ist, mit Schlafentzug zu leben.
Schlafen ist ein menschliches Grundbedürfnis und gehört nach der Maslowschen Bedürfnispyramide zu den physiologischen Bedürfnissen wie Essen und Trinken, um die Grundexistenz eines Menschen zu sichern.
Während die Befriedigung der meisten Grundbedürfnisse hierzulande für weite Teile der Bevölkerung gedeckt werden kann, verhält sich das mit dem biologische Ruhezustand weniger positiv. So erklärt das Internet-Portal schlafgestoert.de, dass Schlafstörungen neben Kopfschmerzen zu den häufigsten psychosomatischen Beschwerden zählen.
„Wer schlafen kann, darf glücklich sein“, hat Erich Kästner gesagt. Die Gründe, nicht schlafen zu können sind vielfältig, genauso wie die Formen eines gestörten Schlafes. Allerdings gibt es Schlafstörungen, die herzlich wenig mit der eigenen Physis oder Psyche zu tun haben. Da ist einmal das Problem der Schichtarbeit. Laut Ratgeber der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) lassen sich für die Millionen von betroffenen Menschen in Deutschland und weltweit Lösungen finden, die das Problem zwar nicht in Gänze aufheben, aber die Auswirkungen der Schichtarbeit bei den Betroffenen zumindest abmildern. Ein Ansatz ist, die Arbeitnehmerschaft nach Abend- und Morgentypen auszutesten, aufzuteilen und dies im Einsatzplan zu berücksichtigen.
„Qualitativer guter und quantitativ ausreichender Schlaf gilt als eine der wichtigsten Ressourcen für die Gesundheit, gerade für Heranwachsende“, erklärt auch Professor Ulrich Koehler, der das Schlafmedizinische Zentrum am Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) leitet. Er und sein Kollege, Dr. Manfred Betz vom Dillenburger Institut für Gesundheitsförderung und -forschung, stellten erst vor wenigen Monaten die Ergebnisse einer Studie vor. Diese wurde an weit über 8.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgeführt und kam zu erschreckenden Ergebnissen. Im Durchschnitt schlafen die Jugendlichen während der Woche etwas mehr als sechseinhalb Stunden pro Nacht und am Wochenende neun Stunden. „Damit schlafen sie deutlich weniger als ältere Erwachsene“, erklärt Koehler, „obwohl sie in ihrer Lebensphase eigentlich mehr Schlaf benötigen.“ Jeder Fünfte schläft sogar während der Woche weniger als sechs Stunden und fast jeder Zweite schläft am Wochenende mehr als neun Stunden.
Das liegt nicht an fehlender Disziplin und Willfährigkeit bei jungen Menschen dem Schul- und Ausbildungssystem gegenüber. Diese haben vielmehr einen anderen Rhythmus, der sie abends lange aktiv und morgens vorzugsweise bis mindestens acht oder neun Uhr schlafen lassen würde. Doch der frühe Beginn von Arbeit und Schule erzeugt bei vielen ein permanentes Schlafdefizit. Das versuchen viele am Wochenende durch sehr spätes Aufstehen auszugleichen. „Knapp zwei Drittel der Jugendlichen fühlen sich tagsüber nicht ausgeruht und leistungsfähig“, berichtet Koautor Betz, „sie leiden zudem verstärkt an gesundheitlichen Problemen wie psychischen Beschwerden, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden und fehlen häufiger am Arbeitsplatz oder in der Schule.“ Eine starke Tagesmüdigkeit führe auch zu deutlich erhöhter Unfallgefährdung, insbesondere im Straßenverkehr.
In Deutschland ist der Unterrichtsbeginn nicht einheitlich geregelt und spaltet zudem in Lager. Die einen begrüßen einen späteren Schulbeginn, vor allem wenn ein langer Schulweg wie in ländlichen Gegenden zum Schulalltag gehört. Die anderen sind dagegen, wobei Argumente bis zum beheizten Kinderzimmer zu finden sind, die die Kids dazu verleiten, nicht früh genug ins Bett zu gehen.  Stefanie Schadt

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Ich will vor!

Tatort Supermarkt oder genauer der Kassenbereich. Auch wer mit keinen Augen im Rückenbereich ausgestattet ist, spürt hier immer wieder diesen einen durchdringenden Blick. Gern wird er tonal begleitet durch ein Räuspern, was alles zusammengenommen nur eines bedeuten kann: „Ich will vor!“
Warum eigentlich? Weil der Mensch mit dem fräsenden Blick, der die Person vor ihr an der Kasse fest fixiert, es so eilig hat? Nicht so lange warten kann, bis die mehr oder minder vielen Waren der Vorgängerperson gescannt, in den Einkaufswagen erneut verstaut und abgerechnet sind? Je mehr Artikel diese auf der Pole Position am Bande auf selbiges packt, desto eindeutiger wandelt sich der Blick von Aufmerksamkeit erzeugen wollen in tiefe Empörung, die nicht (immer) hör-, aber für einen halbwegs sensitiven Menschen definitiv spürbar ist.
Bad Vibrations! Die kommen vor allem rüber, wenn der Wartende hinter einem schon mal aufs Band auflegt, obwohl man selber noch fleißig dabei ist, nun aber keinen Platz mehr hat. Was für eine eindeutige Demonstration, wem der Platz am vorderen Band zusteht. Auf jeden Fall nicht mir, die dort zuerst stand!
Beginnt dann tatsächlich der Scan der Waren, ohne dass ein Vorlassen vonstattenging, wandelt sich nicht selten Empörung in tiefen Groll, gar temporären Alltagshass. Das kann so weit gehen, dass Lästereien, sobald der Mensch an der Kasse ein klein wenig Aufmerksamkeit zollt, vom Stapel gelassen werden. Als Reaktionsvariante gibt es die Situation auf dem Parkplatz: Ungeduldiger Mensch, weil ja so was von unter Stress, wirft beim Gang zum Auto weitere bitterböse Blicke auf die Person, durchaus mich, die seine Wartezeit um 1:45 Minuten an der Kasse völlig unhöflich, kein Stück zuvor kommend verlängerte und das bestimmt nur aus purer Nickeligkeit! Vollendet wird dieser Auftritt mit raschem Vorbeifahren, weil man ja zurecht wütend ist, und einer 90 Grad-Drehung des Kopfes samt einem letzten Blick, der nur eines verheißt: „Ich will nie wieder hinter dir an einer Kasse stehen!“
Aber es gibt noch aufdringlichere Zeitgenossen in Sachen „Ich will vor!“. Folgendes ist nicht fabuliert:
Ein Supermarkt im Herzen Fuldas. Die Kassen sind alle besetzt und werden dennoch durch lange Schlangen von Leuten gesäumt. Die warten geduldig auf ihr Vorstoßen. Da kommt ein älterer Herr des Weges, um die 70 und vor Rüstigkeit strotzend.
Wartezeit, für ihn anscheinend ein Teilstück des Einkaufs-Parcours, das einfach nur listig genommen werden muss. So späht er sich einen bereits zur Kassiererin nah aufgegerückten Geschlechtsgenossen aus – der übrigens nur einen Wasserkasten bezahlen will – fährt mit seinem Wägelchen geschickt durch die Menschenansammlung durch, quatscht den Auserkorenen an und kommt sofort zur Sache: „Ich geh dann mal mit meinen drei Teilen“ - es sind mindestens fünf - „vor“.
Warum und weshalb bleibt unklar. Der andere verdutzt, antwortet nicht, lässt ihn aber gewähren.
Das alles wäre ja halb so wild, wenn besagter Vordrängler im Anschluss nicht auch noch Probleme mit dem Bezahlen hat, die er nun mit aller Seelenruhe angeht: „Wo ist mein  Portemonnaie? Wollen Sie es passend? Ich hab‘ doch so viel Kleingeld!“
Und dann fängt er an zu zählen, vor allem an zu suchen und hält noch ein Quätschen mit der Kassiererin. Und wir dahinter Stehenden, Wartenden, Nicht-Gefragten sind mit einem subjektiven Zeitempfindungserlebnis beschäftigt, das aus Sekunden Äonen macht!
Zu diesem Typ gibt es selbstsprechend ein Pedant. Das ist jenes, das lauthals allen freudig verkündet: „Ach, gehen Sie ruhig vor. Ich hab‘ doch Zeit!“ Der Ausruf erfolgt, veredelt durch das Bewusstsein wie wertvoll Muße ist, auch wenn dessen Einkaufswagen selbst kaum etwas enthält.
Und dann gibt es noch jene mit zwei Sachen auf dem Arm, die es zwar genauso eilig haben wie alle anderen, sich ihrem Schicksal als kollektiv empfundenes einfach wartend hingeben. Die lässt man doch gerne vor, wenn es das eigene Zeitfenster erlaubt. Allein schon, weil es gut tut, mit höflichen Menschen kurz an der Kasse in Kontakt zu kommen. Und meist fällt dann auch noch ein freundliches „Tschüs“ ab.      Stefanie Schadt

Soziale Ungleichheit

 

Ein demokratischer Grundsatz ist, dass Menschen gleich sind. Das bedeutet nicht, dass Menschen gleichartig, sondern gleichwertig sind. Dieser Grundsatz widerspricht dem gesellschaftlichen Tatbestand der sozialen Ungleichheit. Sie ent- beziehungsweise besteht  durch ungleiche Verteilungen und ungleiche Möglichkeiten zur Erlangung von Dienstleistungen und Produkten menschlicher Arbeit. Somit ist soziale Ungleichheit an bewusstes soziales Handeln gebunden. Allerdings steht bewusstes Handeln nicht gleichzeitig für absichtsvolles Handeln, sondern schließt neben absichtsvollem auch nicht absichtsvolles ein. Beispiel: Wenn ich konventionellen Kaffee konsumiere, weil mir die finanziellen Mittel fehlen ein Fair Trade-Produkt zu kaufen, ist mir bewusst, dass ich damit ungünstige Arbeits- und Lohnverhältnisse beispielsweise südamerikanischer Kaffeebauern „unterstütze“. Das ist aber nicht meine Absicht beim Kaffeekauf. Meine Absicht ist, ein Pfund Kaffee für einen Betrag x zu kaufen, den ich mir leisten kann, um Kaffee trinken zu können. Oder wer kennt Leute, die Supermarkt-Regale von konventionell produzierten und gehandelten Kaffee leerfegen, um das Elend der Kaffeebauern zu erhalten? Das wird im doppelten Sinne des Wortes in Kauf genommen. Die Alternative wäre Kaffeeverzicht… wieder ein Indiz für soziale Ungleichheit.

 

Indem soziale Ungleichheit auf sozialem Handeln von Menschen beruht, können diese in der Umkehr soziale Ungleichheit ausräumen, abbauen, verändern. Es gibt etliche Stellen an denen das aber nicht gewollt ist. Neben Machterlangung und -erhalt findet sich der Schlüssel sozialer Ungleichheit in Leistungserbringung. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Wer was leistet, soll belohnt werden! In der Schule gibt es für eine gute Leistung eine gute Note. Für gute Noten gibt es gute Ausbildungsmöglichkeiten. Eine gute Ausbildung führt zu einem guten Job. Ein guter Job bringt eine gute Entlohnung mit sich. Stopp! Diese Verkettung ist in unserer Leistungsgesellschaft brüchig geworden und das wird als ungerecht empfunden. Geld, Zeugnisse, Zertifikate und das nicht legitime „Vitamin B“ bezeichnet der Soziologe Reinhard Kreckel als „Tauschmedien“ sozialer Ungleichheit. Und die Reaktion auf den bröckelnden Leistungsautomatismus? Noch mehr Leistung!

 

Der Soziologe Ulrich Beck hat die Schattenseiten der Postmoderne mit dem sogenannten Fahrstuhl-Effekt verdeutlicht: Die Bildungsexpansion bringt das Anstreben immer höherer Bildungsabschlüsse hervor. 55 Prozent der Befragten der 16. Shell Jugendstudie (2010) streben ein Abitur oder eine fachgebundene Hochschulreife an. Mehr als ein Drittel der Realschüler/innen und 50 Prozent der Hauptschüler/innen wollen einen höheren Bildungsabschluss erreichen, als den, welchen die jeweilig besuchte Schulform vorsieht. Hört sich toll an, wäre auch umso toller, wenn die Antwort auf die Bildungsexpansion nicht eine Entwertung und Inflation der Bildungsabschlüsse nach sich ziehe. „Da war ein Betrieb, der wollte für einen Tischler Abitur haben, das kriegt doch kein normaler Mensch hin“, erzählt ein 15-jähriger Schüler im Interview der Jugendstudie.

Noch einmal ein Schritt zurück zur sozialen Ungleichheit. In der Leistungsgesellschaft wird Erfolg als Resultat individuellen Handelns gewertet. Doch so einfach ist das nicht. Bleiben wir beim Beispiel Schulausbildung. Empirisch kann nachgewiesen werden, dass Bildung weiterhin sozial vererbt wird (vgl. u. a. Shell Jugendstudie 2010). Und junge Menschen haben kapiert, dass hohe Bildungsabschlüsse nicht mehr einen guten Job und hohes Einkommen garantieren. Heranwachsende aus gehobenen Schichten gehen mit diesem Bewusstsein jedoch gelassener um, allein durch den finanziellen Rückhalt aus dem Elternhaus. Bereits in der Mittelschicht, so die empirischen Belege, kommt diese gelassene Haltung ins Wanken. Der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann spricht daher von einer „Spaltung zwischen drei unterschiedlichen Jugendwelten in Deutschland“, wobei sich die Kluft zwischen den privilegierten und randständigen Gruppen vergrößert.
Auch hier dient das Schulsystem wieder wunderbar als Beispiel: Wenn für ein zehnjähriges Kind die Weichen im Schulsystem durch den Übergang auf eine weiterführende Schule gelegt werden, hat das nicht viel mit Gerechtigkeit zu tun. Dieses Kind ging vier Jahre lang durch ein System, das Leistungen abfragte, ohne Berücksichtigung der jeweiligen Tagesform, geschweige denn der sozialen Umstände in denen ein Kind lebt. Da kann alleine Prüfungsangst zur sozialen Zukunftsweisung werden.
Soziale Ungleichheit findet keinen alleinigen Schwerpunkt im Schul- und Ausbildungssystem, doch dort erlebt soziale Selektion hierzulande ihre institutionell legitimierte Weichenstellung.
Soziale Ungleichheiten basieren nicht nur auf erbrachte Leistungen, die unterschiedlich belohnt werden. Soziale Ungleichheit basiert, entsteht und besteht, indem Zugänge nicht für alle gleich offen stehen, um überhaupt Leistung erbringen zu können. Es trifft Frauen, Migrant/innen, „Bildungsarme” und global gesehen bestimmt vor allem der Geburtsort die „Zugänglichkeit von Zugängen”.
Stefanie Schadt

 

Sozialdarwinismus und die Würde von Tieren

Der die perfekt organisierte Gesellschaft sucht, könnte auf das „Volk“ im Bienenstand kommen. Gemeinsam wird Nahrung beschafft, das Nest gebaut und Angreifer abgewehrt. Sind menschliche Gesellschaften ähnlich effektiv zu strukturieren? Sind klare Hierarchien und Abschottung gegenüber anderen Völkern sinnvoll auf die der Menschheit zu übertragen? Der größte Teil der hier anzutreffenden Insekten sind vermehrungsunfähige Arbeiterinnen. Schon allein daher erscheint der Bienen- oder auch Ameisenstaat als Vorbild für Menschen ungeeignet. Auch wenn jede Ameise ihre effiziente Rolle spielt, fehlen Persönlichkeit und Individualität. Wer Ameisen mit Menschen vergleicht, verherrlicht Gemeinschaften, die selbst im Tierreich relativ selten sind.

Im Bienen- oder Ameisenvolk gibt es keine Moral. Das gilt auch dann, wenn sich eine Ameise im Kampf mit einem Fressfeind scheinbar altruistisch für ihr „Volk“ opfert. Von menschlichen Soldaten wurde stets Ähnliches erwartet. Doch  „Heldentod“ ist hier sehr persönlich. Bei Ameisen opfert sich kein Individuum, sondern eine eh vermehrungsunfähige einzig dem Schutz und der Versorgung von Brut und Ameisenkönigin dienende „B-Meise“. Dies Beispiel zeigt, wie unpassend die Anwendung der Lehre Darwins auf Menschen ist. Im Sozialdarwinismus wird die „Auslese in sozialer, ökonomischer und auch moralischer Hinsicht“ für die menschliche Entwicklung verantwortlich gemacht. Es wird behauptet, es gäbe gutes und schlechtes Erbmaterial. Gute Erbanlagen sollen gefördert, schlechte ausgelöscht werden. Im Dritten Reich wurde dies zur politischen Praxis. Rassenwahn und Lebensraumdoktrin wurden mit biologischer Ungleichheit begründet und mit dem angeblichen Recht des Stärkeren durchgesetzt. Grundlage war Menschen einen minderen bzw. einen überhöhten Rechts- und Wertestatus zu zubilligen. Militärische Opfer wurden von den Nazis zum Wohl der Arterhaltung gefordert. Nach dieser Theorie hätten Individuen ein Interesse daran, die eigene Art zu erhalten und würden aus dem Grunde altruistische Verhaltensweisen gegenüber Mitgliedern der eigenen abgegrenzten Spezies zeigen. Die NS-Ideologie verstand die Arterhaltung als wesentlichen Mechanismus der Evolutionstheorie. Die sozialdarwinistische Herrenmenschen-Ideologie basierte auf einer Differenzierung menschlicher Rassen, die es tatsächlich gar nicht gibt. Die Arterhalt der Menschen, war auch nach dem Krieg eine gängige Begründung sogar von Gründervätern der deutschen Umweltbewegung (siehe dazu auch Hirnstupser auf Seite 22). Sowohl in der modernen Verhaltensforschung als auch der Hirnforschung konnte dies alles endgültig als völliger Unsinn entlarvt werden. Niemand kann wohl praktizierte Arterhaltung erkennen, die Krähen dazu veranlasst, anderen Krähen Nistmaterial zu stehlen. Den eigenen Brutvorgang früher zu beginnen, unter Inkaufnahme von erheblichen Nachteilen für andere Individuen der eigenen Art, der eigenen Krähenkolonie, darunter im Zweifel sogar Geschwister und Eltern. ist definitv das Gegenteil. Dieses „unmoralische Handeln“ bestätigt die darwinistische Theorie der natürlichen Selektion beim „Kampf ums Dasein“. Dieser wird bei Menschen normalerweise durch Moral verhindert. Sie dient nicht zuletzt dem Zweck, das Leben in einer Gruppe sinnvoll zu organisieren. Moral ist eine ethische Begrenzung, die zum Beispiel vor Machtmissbrauch schützt. Grundlage ist sich in die Befindlichkeiten und Vorstellungen Anderer hineinversetzen zu können. Die Hirnforschung hat erwiesen, dass Spiegelneuronen im menschlichen Hirn helfen, altruistisch zu sein. Es gibt ein Glücksgefühl andere glücklich zu machen. Im Kernspintomografen wurde dies der kleinen Hirnregion Amygdala zugeordnet. Hier sitzt das Lust- und Frustzentrum. Altruistisches Verhalten äußert sich zum Beispiel, wenn ein Beschenkender Freude darüber empfindet, dass ein Beschenkter sich über ein Geschenk besonders freut. Auch hungernden Fremden Essen abzugeben, ist moralisch selbstverständlich und wird zugleich als Selbstbelohnung verstanden. Moralisches Verhalten ist demnach auch eine Frage der Selbstachtung. Ist diese ein Privileg unserer Art?

Krähen mögen keine ausgeprägte Moral haben. Doch sind Menschen genetisch nicht allzu weit von anderen Menschenaffen entfernt. Schimpansen und Bonobos unterscheiden sich nicht mal um 1,6 Prozent der Gene von Menschen. Auch wenn wir uns als erfolgreichste Art einer über 250 Millionen Jahre gehenden Säugetierentwicklung ansehen dürfen, verdanken wir dies insbesondere menschlicher Innovationskraft auch als Folge von Teamarbeit. Seit etwa 400.000 Jahren ist der aufrecht gehende Primat namens Homo sapiens mit seinem zwischen 1.100 und 1.800 Gramm schweren Hirn auf diesem Planeten unterwegs. Doch erst seit wenigen Jahrhunderten steigern menschliche Hirne mit wirklich technischen und medizinischen Fortschritte nachhaltig die menschliche Lebensqualität und Lebenserwartung.

Vor ein paar Jahrtausenden unterschied sich menschliche Lebensweise nicht wesentlich von der anderer Menschenaffenarten. Auch andere Menschenaffen kommunizieren über Laute und Gesten miteinander, leben in kleinen Gruppen zusammen und benutzen einfache Werkzeuge. Selbst „moralisches Verhalten“ wie Mitleid konnte beobachtet werden. Primatengehirne stellen mit Spiegelneuronen Möglichkeiten bereit, sich in andere hinein zu versetzen. Sie erhalten eine neurochemische Belohnung für moralisches Verhalten. Die Beobachtungen bei uns und unseren nächsten Verwandten stehen eindeutig konträr zur klassischen Betrachtung des „Kampfs ums Dasein“. Sozialdarwinismus und NS-Rassenideologie verlieren durch diese Erkenntnis die letzte Stütze der völlig unseriös angewendeten Theorie auf Menschen und menschenähnliche Tiere. Es ist vielmehr moralische Verpflichtung neben anerkannter umfassender Menschenwürde auch anderen Tieren stärkere Rechte einzuräumen. Derzeit genießen in Deutschland Gorilla und Stubenfliege einen gleichen Rechtsstatus. Da Menschenaffen nachweislich Wünsche und Absichten haben, sind sie genau wie wir Personen.
Mitte des letzten Jahrzehnts verblüffte der amerikanische Wissenschaftler Jaak Panksepp von der Bowling Green State University in Ohio (USA) mit der Erkenntnis, dass Ratten lachen können. Zur gegenseitigen Belustigung kitzeln sie sich beziehungsweise lassen sich von ihren menschlichen Betreuern aus eigenem Antrieb auf diese Weise zum Lachen bringen. Wenn also Ratten offensichtlich Humor haben, verfügen sie vielleicht auch über ein Selbstbewusstsein, Intelligenz, komplexe Kommunikationsformen und soziale Kompetenz. Das gilt allgemein als ethisches Kriterium dafür, dass Leben unbedingt schützenswert ist.              Timo Schadt

 

 

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