Das Leben vor dem Braten


Millionen Tiere leben in deutschen Ställen. Vielen geht es dabei alles andere als gut. Die Haltungsbedingungen entsprechen oft nicht dem, was heute an Erkenntnissen darüber vorliegt, wie Tiere artgerecht gehalten werden können. Sie werden mit Unmengen speziellen Futters und Medikamenten versorgt, um möglichst schnell große Mengen menschliche Nahrungsmittel zu liefern. Am Ende werden sie alle getötet.

Seit den 1960er Jahren hat sich in diesem Zuge die deutsche Fleischproduktion von 60 auf 240 tausend Tonnen vervierfacht.
Inzwischen wollen aber immer mehr Menschen aus ethischen Gründen ihren diesbezüglichen Konsum herunterfahren oder ganz darauf verzichten. Tiere sollen beim Leben, Aufwachsen und Sterben nicht leiden.

„Das Thema Tierwohl dominiert sicherlich in den nächsten Jahren unser Handeln“, ist sich Renate Kühlcke Chefredakteurin der Zeitschrift „Fleischwirtschaft“ sicher. Bei einem Symposium der „Interessengemeinschaft für gesunde Lebensmittel (IG FÜR)e.V.“ machte sie den Widerspruch klar. „Jeder will regionale Qualität, aber die regionalen Betriebe sterben weg!“, doch 75 Prozent aller Schweine sterben heute in vier deutschen Großschlachtbetrieben. Der Bio-Schweinefleisch-Anteil sei „in all den Jahren nicht über zwei, drei Prozent hinausgewachsen“.


Tier persönlich kennen

Guido Peter Siebenmorgen von der Rewe Group gab vor rund 100 Symposiums-Teilnehmern zu bedenken, gute Erfahrungen mit dem MSC-Siegel bei Fischprodukten würden zeigen, „20 bis 30 Cent Zuschlag sind beim Verkaufspreis drin. Da redet niemand drüber. Wir sprechen davon, den ganzen Fleischmarkt umzustellen, nicht nur Nischen. Nischen wie Bio sind toll. aber wir sprechen vom gesamten Markt.“
Der Pionier artgerechter Tierhaltung, Franz Josef Kögel äußerte Misstrauen gegenüber großen Lösungen. „Es sind oft kleinere Betriebe, die Standardisierungsprozesse nicht mitmachen können.“ Der Landwirt aus Bayern plädierte für einen engen Draht zwischen Erzeuger und Verbraucher. Viele Verbraucher seien froh, das Tier nicht persönlich zu kennen, dessen Fleisch sie verzehren. „Es müsste doch genau anders herum sein.“
Rewe-Vertreter Guido Peter Siebenmorgen sprach vom „politischen Versagen“, einen derart hohen Anteil an Discountern zuzulassen, denn diese hätten, seiner Ansicht nach, die Preise auf dem Fleischmark ruiniert. „Wir haben einen 45 prozentigen Discounter-Anteil. Der Preiseinstieg geht vom Discounter aus.“  


„Echtes Tierwohl kostet“

Georg Abel vom „Bundesverband Verbraucher Initiative“ erklärte bei der Tagung, deutsche Verbraucher hätten „gelernt, dass Geiz geil sein soll“. Inzwischen wollen viele „Sicherheit und nicht nur günstige Preise“. Stagnierende Verbrauchereinkommen stünden im Widerspruch mit wachsender Berücksichtigung von Werten, Ethik und Moral. Dabei seien 46 Prozent bereit höhere Preise für höhere Qualität zu zahlen. Die Schwierigkeit sei jedoch, gute Qualität überhaupt zu erkennen. Ziel müsse laut Georg Abel daher sein, „messbare Indikatoren fürs Tierwohl zu entwickeln“. Er ist sich sicher, „echtes Tierwohl kostet und wird nicht ohne Mehrpreis möglich sein“. Der Verbraucherschützer versteht „Tierwohl als Baustein der Nachhaltigkeit“. Wer bei der Fleischproduktion zukunftsfähig sein wolle, müsse sich anders aufstellen.


Zugzwang am Markt

Der anwesende Vertreter der Fleischindustrie Dr. Wilhelm Jaeger von der Firma Tönnies gab vor, das grundsätzlich ähnlich zu sehen: „Die Marktmechanismen sind für die Fleischpreisentwicklung verantwortlich.“
Dr. Jaeger, dessen Unternehmen 17.000 Vertragslandwirte mit Schlachttieren versorgen, erklärte weiter: „Man muss sich als Marktführer gefallen lassen, Feindbild zu sein. Wir können die Bauern nicht von heute auf morgen ändern. Jeder Betrieb kann sich entwickeln.“
Bernd Voß von der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ findet jedoch, „ethische Fragen müssen zu wirtschaftlichen werden“. Es gelte einen „Zugzwang am Markt mit höheren Verbindlichkeiten“ zu schaffen, denn jeder Landwirt habe seine individuelle wirtschaftliche Begründung das eine umzusetzen und das andere zu lassen. Er müsse vor allem im Wettbewerb bestehen. Objektive Kritereien des Tierwohls wie ungekürzte Schnäbel und Ringelschwänze, auch unterschiedliche Klimazonen in den Stallungen müssten festgeschrieben werden.
Voß, der für die Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag sitzt, sieht die Ursachen in der staatlichen Subventionspolitik, denn „unter 2.000 Schweinen baut keiner mehr“.


Staatliches Label?'

Martin Hofstätter, von der Umweltorganisation Greenpeace Deutschland, befindet die heutigen Haltungssysteme zwar besser als die in früheren Zeiten, trotzdem gibt es seiner Feststellung nach weiterhin eine Entwicklung zur Leistungssteigerung. Hofstätter glaubt nicht alleine an eine selbstverpflichtende Branchenlösung, vielmehr müssten gesetzliche Rahmenbedingungen mit einem klaren Labelling geschaffen werden.
„Über 1.000 Label verwirren nur, denn Verbraucher haben keine Zeit!“, ist sich auch Georg Abel sicher. „Sie wollen Leistungen leicht erkennen können und wollen sie glauben.“ Label seien, so der Verbraucherschützer weiter, „der schnelle Rat, wenn die Verbraucher sie kennen“. Dem gab Agrarpolitiker Bernd Voß Recht: „In der Frage des Labellings kommen wir nicht um verbindliche Standards herum.“ Ein gesetzlicher Basisschutz müsse Verbrauchern ermöglichen, „einfach und schnell zu erkennen, wohin orientiere ich mich“.
Der Fleischindustrie-Repräsentant Dr. Wilhelm Jaeger widersprach: „Wir können nicht warten, bis fertig definiert ist. Der Verbraucher hat eine eigene Meinung. Wir haben Selbstverantwortung. Der Ansatz kann nicht das Schaffen eines neuen Labels sein.“ Anderer Auffassung ist Karl Schweisfurth von den Herrmannsdorfer Landwerkstätten: „Ist der Handel nicht sortiert, muss der Staat eingreifen.“ Es müsse seiner Ansicht nach klare Signale geben. Preise müssten steigen. „Diese würde dann den Fleischkonsum senken.“
 
Dackel auf der Couch

Verbraucherschützer Abel will, dass „Preise die Wahrheit sagen. Ein Großteil der Verbraucher würde da mitgehen.“ Dr. Horst Lang, von der Handelskette Globus zweifelte jedoch während der Diskussion in Fulda an der Kompetenz vieler Verbraucher: „Den Dackel auf der Couch und die Kuh im Stall kann man nicht gleich setzen.“ Streichelzoo und Landwirtschaft müsse man trennen.
Stefan Johnigk von der Tierschutzorganisation PROHVIEH stimmte bedingt zu, man dürfe bei der Tierhaltung nicht vermenschlichen. „Der einzige Experte für das Tierwohl ist das Tier selbst!“
Karl Schweisfurth erklärte, Mißverständnisse seitens der Verbraucher könnten nur durch Aufklärung behoben werden. Deswegen müssten Landwirte Verbraucher in die Ställe lassen, um das idealisierte Bild vieler Menschen von ländlicher Idylle aufzubrechen. Es ginge dabei aber auch darum, Landwirte aufzuklären, „was den Verbraucher umtreibt“.       
 Text: Timo Schadt

in36.de

 

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